Überfischung

Von der Zelle zum Filet: Die biotechnologische Vision von BLUU Seafood

BLUU Seafood wurde 2020 von Dr. Sebastian Rakers und Simon Fabich in Lübeck gegründet. Das Unternehmen widmet sich seitdem der Forschung und der Produktion von zellbasiertem Fisch. In diesem Gespräch erklärt Dr. Cornelius Lahme, wie das Unternehmen aus Fischzellen und pflanzlichen Proteinen ein nachhaltiges, tierleidfreies Produkt schafft, das lecker schmeckt und ohne die Nachteile traditioneller Fischerei auskommen soll. 

BlueShift: Können Sie in einem Satz zusammenfassen, was BLUU Seafood macht?

Dr. Lahme: Wir sind eine Food-Biotech-Company. Das bedeutet, wir arbeiten an zellbasierten Lebensmitteln, konkret an zellbasiertem Fisch. Das wiederum bedeutet, wir setzen Biotechnologie ein, um Lebensmittel herzustellen. Unser Ziel ist es, langfristig keine pflanzenbasierten Kompromisse einzugehen, sondern echtes Fischfleisch anzubieten, nur ohne Nachteile wie Tierleid und ungewollte Inhaltsstoffe wie Mikroplastik und Schwermetalle.

BlueShift: Können Sie den Produktionsprozess für die Produkte kurz so erläutern, dass es jeder versteht? Welche besonderen Herausforderungen gibt es hierbei?

Dr. Lahme: Unser Produktionsprozess umfasst vier Teams. Das erste Team, das Zelllinien-Team, isoliert Stammzellen aus dem Gewebe von atlantischem Lachs und Regenbogenforellen. Das zweite Team stellt das Nährmedium bereit, das für die Kultivierung benötigt wird. Im dritten Schritt werden die Zellen in Fermentern vermehrt, wo wir eine fischähnliche Umgebung simulieren, damit sie im Raum, also in der dritten Dimension, wachsen und kleine Zellhaufen bilden können. Abschließend übernimmt das Food-Tech-Team diese Zellmasse, die wir durch Zentrifugation oder Filterung gewinnen, und verarbeitet sie zu Lebensmitteln wie Fischstäbchen und Fischbällchen. Dabei verwenden wir eine vegane Ausgangsmasse, zum Beispiel aus Proteinen wie Soja oder Kartoffeln. Und als eine Art „Masterzutat“ fügen wir die echten tierischen Zellen hinzu. Ohne Tierleid oder Umweltzerstörung. Am Ende haben wir ein sogenanntes Hybridprodukt, oder wie wir es nennen, „Blended Product“, das aus pflanzlichen Proteinen und den tierischen Zellen besteht.

BlueShift: Ist die Methode für andere Produkte, wie Fleischprodukte, gleichermaßen möglich und könnt ihr euch vorstellen, zukünftig auch andere zellbasierte Produkte zu entwickeln, oder wird der Fokus weiterhin ausschließlich auf Seafood liegen? 

Dr. Lahme: Wir haben den Prozess der Zellkultivierung nicht erfunden – dieser existiert bereits seit den 1960er Jahren. Bisher wurde er nur nicht im Lebensmittelbereich eingesetzt, sondern beispielsweise im pharmazeutischen Bereich. Und im Grunde genommen kann man alle Zellen kultivieren. Es gibt auch bereits Zulassungen für zellbasiertes Hühnchen, Wachtel- oder Rindfleisch. Die Umstände sind aber entsprechend unterschiedlich. Es gibt Unterschiede zwischen beispielsweise Säugetierzellen oder Fischzellen. Zum Beispiel gibt es von Natur aus immortale Zellen. Diese sind quasi unsterblich. Sie können sich teilen, ohne Qualitätsverlust. Das ist bei Säugetieren nicht der Fall. Dementsprechend muss man, wenn man eine richtig gute Zelllinie hat, nicht mehr wieder zum Ausgangswirt, also zum Fisch, zurück, um neue Zellen zu suchen. Auch der Einsatz von Gentechnik ist nicht notwendig. In unserer Arbeit konzentrieren wir uns erstmal auf die Regenbogenforelle und den atlantischen Lachs. 

BlueShift: Gibt es Risiken oder ethische Bedenken bei der Zellkultivierung, die ihr als Unternehmen berücksichtigt oder die die Produktion vor Herausforderungen stellen?

Dr. Lahme: Im Moment muss man sagen, und das kommunizieren wir auch ganz transparent, dass wir uns immer noch im Forschungsstadium befinden. Die Technologie funktioniert komplett, also alles, was ich bereits beschrieben habe, ist voll funktionsfähig – allerdings auf einem niedrigen Skalierungslevel. Momentan ist es eine Herausforderung, dass die Technologie, mit der wir arbeiten, unter anderem aus dem Pharmabereich kommt. Daher sind die Nährmedien, mit denen wir arbeiten, noch sehr teuer. Außerdem kommt in bestimmten Experimenten noch FBS im Nährmedium zum Einsatz. Das wird schon seit Jahrzehnten in der Forschung verwendet. Uns gelingt es jetzt aber auch schon, ohne FBS unsere Zellen zu kultivieren, und das soll natürlich langfristig auch das Ziel sein. Wir können nämlich nicht sagen, dass unser Produkt tierleidfrei ist, wenn das nicht auch für das Nährmedium gilt. Gleichzeitig ist es auch nicht effektiv und zudem sehr teuer. Aber wie gesagt, wir können unsere Zellen auch schon ohne diesen Stoff wachsen lassen.

BlueShift: Welche quantitativen Umweltauswirkungen werden konkret erwartet? Also zum Beispiel CO₂-Einsparungen oder die Vermeidung von Meeresverschmutzung?

Dr. Lahme: Da unsere Produktionen mit erneuerbaren Energien laufen sollen, ist das Ziel auf jeden Fall die Einsparung von CO₂-Emissionen im Vergleich zur industriellen Fischerei. Wir wollen unsere Zellen effizient wachsen lassen. Das bedeutet, dass alle Fischzellen, die wir produzieren, vollständig gegessen werden sollen. Wir lassen also keinen Kopf und keine Flossen wie in der Natur wachsen. Bei uns dauert das Wachstum zudem nicht so lange wie im Meer. Die gefangenen Fische können manchmal erst nach zwei oder drei Jahren konsumiert werden. Das geht bei uns viel, viel schneller. 

BlueShift: Was waren bisher die wichtigsten Meilensteine im Jahr 2024?

Dr. Lahme: Wir befinden uns gerade im Prozess für eine Zulassung in Singapur. Wir stehen dabei kurz vor der offiziellen Einreichung. Außerdem haben wir seit des Umzugs von Lübeck nach Hamburg einen 50-Liter-Fermenter. Vorher waren all unsere Fermenter viel kleiner. Darüber hinaus arbeiten wir jetzt mit einem externen Partner, genauer gesagt mit GEA in Hildesheim, zusammen. Dort haben wir die Kapazität der Fermenter bereits auf 500 Liter erweitert, was natürlich auch die Möglichkeiten unserer Experimente positiv beeinflusst. Relevant für die Wahrnehmung nach außen war zudem der zweite Platz beim deutschen Gründerpreis. Diese Aufmerksamkeit ist für uns und die gesamte Technologie der Wahnsinn. 

BlueShift: Wann sollen die Produkte auf den Markt gebracht werden?

Dr. Lahme: Wir sind, wie vorhin schon erwähnt, im Moment bei der Zulassungsantragsstellung in Singapur. Wenn alles gut läuft, haben wir im Sommer oder Herbst 2025 die Zulassung und können die ersten Produkte dort auf den Markt bringen. Der Markteintritt wird dann erstmal über die gehobene Gastronomie erfolgen.

BlueShift: Warum Singapur?

Dr. Lahme: Start-ups wählen Singapur, weil es dort eine besondere Situation gibt. Singapur verfolgt das Ziel, bis 2030 etwa 30 Prozent seiner Lebensmittel selbst zu produzieren. Dieses Programm heißt „30 by 30“. Das Land ist neuen Technologien im Lebensmittelbereich gegenüber sehr aufgeschlossen und man wird im Zulassungsprozess begleitet und unterstützt. 

BlueShift: Haben Sie abschließend einen Appell an Menschen, die sehr viel gefangenen Fisch und Meeresfrüchte konsumieren? 

Dr. Lahme: Ja, dass sie es auf möglichst nachhaltige Weise konsumieren sollten. Denn grundsätzlich ist es natürlich so, besonders bei bestimmten Fischarten und im Zusammenhang mit Überfischung, dass das Ökosystem dabei viel Schaden erleidet. Man soll auch das essen, was man kauft. Es gibt nichts Schlimmeres als Lebensmittelverschwendung. Das ist vielleicht der größte Schmerzpunkt in unserer Gesellschaft – sowohl in Bezug auf ethische und moralische Aspekte als auch im Hinblick auf planetare Grenzen.

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