Lichtverschmutzung

Von der Küste bis zur Tiefsee: Die Gefahr durch künstliches Licht

Mit einem kaum hörbaren Knacken bricht die dünne Schale. Die winzige Flosse schiebt mit aller Kraft die letzten Bruchstücke zur Seite, die bis jetzt ihr Zuhause formten. Die kleine Meeresschildkröte kämpft sich neben ihren Mitstreitern ihren Weg nach draußen.

Ohne darüber nachzudenken, bewegt sie sich langsam, aber sicher auf das helle Schimmern zu, das in der Dunkelheit so vertraut wirkt – als wüsste sie, dass in den mondbefleckten Tiefen des Meeres ihr Zuhause wartet. Der Weg ist mühsam und ihre winzigen Flossen zeichnen feine Spuren im Sand. Meter für Meter kämpft sie sich voran, angetrieben von einem unermüdlichen Instinkt. Der helle Punkt, der nach Heimat ruft, wird intensiver und das Ziel rückt näher. 

Doch dann, plötzlich, ein Schatten. Ein Moment des Innehaltens. Ein letztes Mal blinzelt die Schildkröte in das blendende Licht. Ein Geräusch zerschneidet die Stille. Das Leben, das gerade erst begonnen hat, endet hier, auf einer menschengebauten Straße, unter einem Reifen, inmitten von Licht und Dunkelheit.

Szenen wie diese sind wegen der wachsenden Belastung durch künstliches Licht leider keine Seltenheit mehr. Meeresschildkröten sind darauf konditioniert, sich nach dem Schlüpfen auf den hellsten Punkt zuzubewegen. Ursprünglich war das der vom Mond beleuchtete Ozean. Aufgrund der Belastung durch menschengemachtes Licht ist dieser hellste Punkt mittlerweile allerdings häufig nicht mehr das Meer, sondern die lichtgeflutete Stadt. Da der natürliche Instinkt der Meeresschildkröten aber tief verankert ist, laufen sie oftmals nach dem Schlüpfen in die falsche Richtung. 

Lebewesen, die unter der Lichtverschmutzung leiden

Meeresschildkröten sind allerdings nicht die einzigen Lebewesen, die unter Lichtverschmutzung leiden. Neben den unzähligen Arten an Land, wie zum Beispiel diversen Insekten, einigen Bodenlebewesen und nicht zuletzt wir Menschen, leiden auch maritime Arten unter den unnatürlichen Lichtverhältnissen. Ein Fakt, der oft in Vergessenheit gerät. 

Fische

Es gibt einige Fischarten, die von Licht angezogen werden und dementsprechend auch nachts vermehrt aktiv sind. Da einige Arten Brutpflege betreiben, kann diese Lichtanziehung dazu führen, dass sie ihre Nester vernachlässigen, so Dr. Krop-Benesch, Biologin und Expertin auf dem Gebiet der Lichtverschmutzung. Zudem kann Licht die Fortpflanzung negativ beeinflussen, da viele Arten lichtabhängige Signale zur Synchronisierung ihrer Laichaktivitäten nutzen. 

Von Vorteil ist das künstliche Licht für Raubfische, die visuell jagen. Durch diesen Vorteil ergibt sich wiederum ein stärkerer Prädationsdruck auf kleinere Fische. Das kann die Interaktionen in der Nahrungskette stören und es findet eine Verschiebung in der Aktivitätsphase und dem Aktivitätsraum und damit in der ganzen Artenzusammensetzung statt. 

„Aale, um ein spezifisches Beispiel zu nennen, vermeiden beleuchtete Regionen komplett und schwimmen nicht durch betroffene Flüsse. Das heißt, dass sich durch Beleuchtung Migrationsbarrieren für sie bilden. Dementsprechend kommen sie nicht mehr an ihre Eiablageplätze und Jungtiere haben teilweise Probleme, überhaupt das Meer zu erreichen“, sagt Dr. Krop-Benesch 

Korallen und Muscheln 

Sessile Arten wie Muscheln und Korallen wählen ihre Ansiedlungsorte nach Lichtbedingungen aus. Somit werden gewohnte Lebensräume teils verlassen und ungeeignete Plätze werden ausgewählt. Korallen siedeln sich beispielsweise tiefer an, als gut für sie wäre. Dann stimmt zwar die Helligkeit, aber der Salzgehalt und die Temperatur stimmen nicht mehr. Das hat Auswirkungen auf ihre Überlebenschancen und somit auf ganze Riffstrukturen. 

Auch die Fortpflanzung von Korallen wird durch Kunstlicht gestört. Die verschiedenen Korallenarten synchronisieren sich laut Dr. Krop-Benesch je nach Mondphase, um ihre Keimzellen ins Wasser abzugeben. Durch künstliches Licht werden diese Vorgänge jedoch gestört und das Korallensterben wird damit weiter begünstigt. 

Algen und Phytoplankton 

Auch Algen haben durch die zusätzlichen Lichtquellen die Möglichkeit, auch tiefer zu siedeln. Damit gibt es ein stärkeres Algenwachstum. Da es aber nicht gleichzeitig mehr Schnecken gibt, die die Algen unter anderem abfressen, kommt es zu einer Algenüberwucherung. 

Phytoplankton ist die Basis des marinen Nahrungsnetzes. Es betreibt tagsüber Photosynthese und ruht nachts. Durch künstliches Licht werden diese Aktivitätsphasen verlängert und die Algenüberproduktion wird noch einmal begünstigt. Das kann zu lokalen Algenblüten führen, die Sauerstoff aus dem Wasser entfernen und die Lebensbedingungen für andere Arten verschlechtern.

Zooplankton und die Auswirkungen auf die Tiefsee 

Nicht nur Schnecken sind für einen gesunden Algenbestand verantwortlich. Zooplankton, also verschiedene Kleinstlebewesen, steigen nachts mehrere hundert Meter aus der Tiefsee in die oberen Wasserschichten, um dort Organismen wie Algen abzufressen. Zooplankton ist allerdings extrem lichtempfindlich und bereits der Vollmond kann diese vertikale Wanderung stören. Künstliches Licht hat dementsprechend enorme Auswirkungen auf das natürliche Verhalten dieser Organismen. Daraus ergeben sich schwerwiegende Konsequenzen. An der Oberfläche sammeln sich zum einen vermehrt Algenteppiche und in der Tiefsee fehlt Nahrung, weil das Zooplankton als Lieferant für Nährstoffe und Biomasse für übergeordnete Arten dient. Somit wird die gesamte marine Nahrungskette destabilisiert. Das heißt, obwohl es in der Tiefsee selbst keine Lichtverschmutzung gibt, leiden sogar die dort angesiedelten Lebewesen unter den Folgen. Die Lichtverschmutzung greift also nicht nur unmittelbar unter der Glühbirne, sondern ganz am Anfang des Ökosystems.  

Vögel

Aber nicht nur Lebewesen unter Wasser leiden unter der maritimen Lichtverschmutzung. Zugvögel und Fledermäuse zum Beispiel werden durch die teils sehr starken Lichtquellen von ihren Flugrouten abgelenkt und häufig kommt es durch Blendung zu Kollisionen mit Lichtquellen oder anderen Artgenossen. Das künstliche Licht führt zu Irritationen und Flugformationen können sich auflösen oder zu stark verdichten. 

Auch Hochseevögel, wie zum Beispiel Sturmtaucher, leiden unter der Lichtverschmutzung. Die Vögel kommen zum Brüten an die Küsten, ziehen dort ihre Jungen auf, und kurz bevor sie das erste Mal fliegen, ziehen die Altvögel weg und die Jungvögel sind auf sich gestellt. Sie fliegen alleine nachts das erste Mal los auf die offene See. Der beste Weg, den offenen Ozean zu finden, ist, dem Licht zu folgen, weil auf der Wasseroberfläche Stern- und Mondlicht reflektiert. Das Problem ist allerdings ähnlich wie bei den Schildkrötenjungen. Oftmals werden sie von künstlichen Lichtquellen angezogen und landen dort. Vor allem junge Sturmtaucher haben das Problem, dass sie zwar hervorragende Flieger sind, aber sehr schlechte Starter. Das bedeutet, sie brauchen einen langen Weg als Startbahn und bestimmte Konditionen, die sie in Küstensiedlungen nicht haben. Das heißt, sie verhungern, dehydrieren, werden von anderen Tieren gefressen und viele werden überfahren.

„Das ist wahrscheinlich für diese Vogelgruppe ein größeres Problem als der Klimawandel, als die Überfischung der Meere und der Plastikmüll. Das ist vielen Leuten einfach nicht bewusst. Und natürlich kombinieren sich diese Probleme auch. Kein Umweltproblem lässt sich isoliert betrachten. Ich habe ein Problem, dann kommt ein zweites dazu und dann wird das System noch viel instabiler, weil einfach die Resilienz fehlt.“ Fasst Dr. Krop-Benesch zusammen. 

Woher kommt das künstliche Licht im Meer?

Wenn das Thema Lichtverschmutzung diskutiert wird, wird sich meist auf Straßenlaternen und Werbebeleuchtung bezogen. Da es diese Lichtquellen im maritimen Bereich nicht gibt, stellt sich die Frage, woher die Lichtverschmutzung im Meer überhaupt kommt. Zum einen strahlen die beleuchteten Küsten und Häfen weiter auf das Meer hinaus, als manchmal angenommen wird. Häfen beispielsweise werden häufig wegen der Nachtruhe bereits ab 22 Uhr geschlossen und es wird nicht mehr gearbeitet. Beleuchtet wird meist trotzdem die ganze Nacht. 

Zum anderen gibt es einige Lichtquellen, die ausschließlich den Ozean belasten und somit oft in Vergessenheit geraten. Neben den Häfen spielen zum Beispiel auch Fischereiflotten eine große Rolle. „Dabei werden extrem helle Scheinwerfer benutzt, um Fische anzulocken, wodurch allerdings auch sehr viel Beifang mit angelockt wird. Somit wird auch das Problem der Überfischung verstärkt. In einigen Ländern gibt es Vorschriften, wie viel Energie ein solcher Scheinwerfer verbrauchen darf, aber es gibt keine Vorschriften darüber, wie hell diese sein dürfen.” So Dr. Krop-Benesch 

Eine der stärksten, wenn nicht die stärkste Lichtquelle, die vermutlich die wenigsten wahrnehmen, sind Ölplattformen. Nennenswert sind ebenfalls die Windparks, die im Vergleich von der Beleuchtung her allerdings zu vernachlässigen sind. „Diese Ölplattformen sind so unglaublich hell, dass sie sogar vom Weltraum aus zu sehen sind.“ Betont Dr. Krop-Benesch. Auf diesen Ölplattformen wird rund um die Uhr gearbeitet, was gleichzeitig eine Dauerbestrahlung der Umgebung bedeutet. Außerdem ziehen sie Vögel und Fledermäuse an, wodurch es häufig zu Massenkollisionen kommt. 

Aktuelle Forschung

Die Auswirkungen von künstlichem Licht auf maritime Lebensräume sind noch vergleichsweise wenig erforscht. Dieser Meinung ist auch Dr. Mark Lenz vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Künstliches Licht als Form der Umweltverschmutzung wurde im marinen Bereich lange vernachlässigt. Hier findet langsam ein Umdenken statt.“ Als wissenschaftlicher Leiter des internationalen GAME-Projekts („Globaler Ansatz durch Modulare Experimente“) untersuchte er im Projektjahr 2023 mit 19 Studierenden über den gesamten Globus verteilt die Auswirkungen von künstlichem Licht bei Nacht auf die Zusammensetzung mariner Lebensgemeinschaften in flachen Küstengewässern. Außerdem beschäftigten sie sich mit der Frage, ob gelbliches oder weißes Licht schädlicher ist. „Wir haben zum Teil starke Effekte gesehen, das Licht scheint einen sehr großen Einfluss zu haben.“ So Dr. Lenz. 

Im Projektjahr 2024 wurde sich, daran anschließend, mit der Frage beschäftigt, wie sich nächtliches Kunstlicht auf das Wachstum, die Photosynthese-Leistung und die Verteidigungsfähigkeit von Makroalgen auswirkt. Die Ergebnisse stehen allerdings noch aus. 

Lösungsansätze und Maßnahmen

Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass Licht mit höheren Blauanteilen besser für maritime Lebensräume geeignet ist. Daher wird besonders an Hafenanlagen viel mit weißlichem und grünem Licht gearbeitet. Diese Annahme ist jedoch veraltet. Künstliches Licht mit höheren Blauanteilen, wie es bei LEDs häufig der Fall ist, wirkt sich laut des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei negativ auf die Schlafphasen aus. Durch das Licht wird die Melatoninbildung gesenkt, was ein Ungleichgewicht des natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus zur Folge hat. „Es ist so, dass dieses weiße Licht, was wir im Augenblick benutzen, dem Sonnenlicht sehr ähnlich ist und deswegen natürlich auch starke biologische Effekte generieren kann.“, so auch Dr. Lenz. Daher wäre der erste Ansatz die Umrüstung auf wärmeres Licht. 

Ein weiterer wichtiger Punkt, der beachtet werden muss, ist die Reduzierung von Streulicht. Demnach sollten Lichtemissionen zielgerichteter gemacht werden. Zudem könnten automatische Beleuchtungssysteme eingesetzt werden, die nur verwendet werden, wenn sie auch wirklich benötigt werden. Dr. Krop-Benesch: „Insgesamt sollten wir einfach an allen Stellen hinterfragen, wo im maritimen Bereich wirklich Licht gebraucht wird. Da könnte schon enorm viel abgeschaltet werden.“

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Die Expertin Dr. Annette Krop-Benesch erklärt in ihrem Buch, warum wir mehr Dunkelheit brauchen und welche Auswirkungen künstliches Licht auf die Umwelt hat.

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