Überfischung

Meereslebewesen: Weniger Emotionen, weniger Empathie?

Sie pflügen durch die Meere wie riesige Mähdrescher. Ein einziger Fangzug kann hunderte Tonnen Leben aus dem Wasser reißen – Fische, Delfine, Schildkröten, selbst Haie. Alles, was sich im Weg der Netze befindet, endet als Beifang oder Beute. Zurück bleibt ein aufgewühlter, leerer Meeresboden, der sich nur schwer erholt. Fische sind die letzten Wildtiere, die in industriellem Maßstab gejagt werden. Mittlerweile lässt sich nicht einmal mehr von einer Jagd sprechen. Das würde voraussetzen, dass das Entkommen eine Option ist. Die Netze der größten Supertrawler sind jedoch so gigantisch, dass es mehr einer Ernte gleicht. 

Überfischung und die Auswirkungen auf Ökosysteme

Eines der größten Beispiele für die Übernutzung natürlicher Ressourcen ist die Überfischung, deren Folgen weit über die maritimen Grenzen hinausgehen. Zusammengefasst wird unter dem Begriff „Überfischung“ verstanden, dass mehr Exemplare einer Art getötet werden, als Jungtiere auf die Welt kommen. Die Folge ist, dass Populationen immer weiter schrumpfen und schließlich aussterben. 

Das hat wiederum Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem im Meer und letztendlich darüber hinaus auch auf alle anderen – den Menschen eingeschlossen. Denn mit dem Aussterben einer Art wird das gesamte Gefüge aus dem Gleichgewicht gebracht. Stichwort: Schlüsselarten. Über den Globus verteilt werden laut Peta bereits jetzt 34 Prozent aller Fischarten zur Kategorie „überfischt“ gezählt. Das ist jedoch kein Grund für die Fischereiindustrie, zumindest diese Arten zu meiden, geschweige denn die gesamte Industrie etwas anzupassen. Regulierungen gibt es kaum und selbst die existierenden werden nicht ausreichend überwacht und beachtet. Das hat zur Folge, dass einige der größten Raubfische und somit die Spitze der Nahrungskette aus den Ozeanen verschwunden sind. Haie beispielsweise gelten wohl dank Filmen wie „Der weiße Hai“ und oftmals übermäßig dramatisierten Fällen von realen Haiangriffen zu den unbeliebtesten Lebewesen überhaupt. Ihr Ruf eilt ihnen sozusagen voraus. Tatsächlich wurden laut der „International Shark Attack File“ (ISAF) in den Jahren 2018 bis 2022 rund 63 unprovozierte Haiangriffe weltweit dokumentiert, von denen im Durchschnitt sechs tödlich endeten. 2023 starben weltweit zehn Menschen durch einen Haiangriff. Im Vergleich: Laut der Organisation „Pro Wildlife“ sterben jedes Jahr schätzungsweise 73 Millionen Haie speziell wegen ihrer Flossen, was als Hai-Finning bezeichnet wird. Das sind etwa 139 getötete Haie pro Minute. Und bei diesen Zahlen sind die, die als Beifang sterben, noch nicht inbegriffen. Damit gehören Haie zu den am stärksten bedrohten Meereslebewesen. Das ist nicht nur für Haie ein Problem, sondern für das gesamte Ökosystem und darüber hinaus für den Klimawandel. Da Haie ganz oben in der Nahrungskette stehen und einen besonders hohen Einfluss auf das maritime Ökosystem haben, gelten sie als sogenannte Schlüsselart. Das heißt, sie regulieren nicht nur die Bestände untergeordneter Arten und halten Fischbestände gesund, da sie diese von kranken und schwachen Individuen befreien, sondern sie regulieren auch die Ausbreitung von Pflanzenfressern wie Dugongs. Nehmen diese Arten überhand, gibt es wiederum weniger Seegras. Da Seegraswiesen jedoch enorme Mengen CO₂ speichern können, ist ein Hai-Verlust in den Ozeanen mit fatalen Folgen für den Klimawandel verbunden. 

Schleppnetze und Beifang

Selbstverständlich sind nicht alle Arten der Fischerei gleichzusetzen. Die Fischereimethode mit den wohl gravierendsten negativen Folgen und Auswirkungen ist die, bei der Grundschleppnetze zum Einsatz kommen. Diese Netze haben ein so hohes Ausmaß, dass sie bis zu 500 Tonnen Tiere fangen können. Laut der Deutschen Stiftung Meeresschutz können die Anteile an Beifang bei dieser Methode bis zu 90 Prozent betragen. So landen jedes Jahr hunderttausende bis Millionen Schildkröten, Delfine, Wale und viele weitere Meerestiere ungewollt in den Netzen. Diese werden zu großen Teilen tot oder sehr schwer verletzt ins Meer zurückgeworfen. Zudem zerstören Grundschleppnetze Korallenriffe und andere Lebensräume, die sich teils nur sehr langsam erholen können. 

In einer aktuellen Studie des Helmholtz-Zentrums Hereon haben Wissenschaftler untersucht und festgestellt, dass die Grundschleppnetzfischerei eine erhebliche Menge CO₂ freisetzt. Dafür hat das Team eine der am intensivsten befischten Regionen untersucht. Die Nordsee. Dabei kam heraus, dass in stark befischten Gebieten deutlich weniger organisch gebundener Kohlenstoff enthalten ist. Ohne Grundschleppnetzfischerei dient der Meeresboden im Normalfall als Kohlenstoffsenke, das heißt, er kann Kohlenstoff über Jahrhunderte speichern. Die Netze stören diesen natürlichen Vorgang jedoch, da Sedimente aufgewühlt werden und somit der gespeicherte Kohlenstoff freigesetzt und teils von Organismen zersetzt wird und letztendlich in die Atmosphäre gelangt. Da es zusätzlich immer weniger große Meereslebewesen am Boden gibt, die den Kohlenstoff tiefer in den Untergrund befördern, wird dieser Vorgang verstärkt. Weltweit werden jedes Jahr etwa 30 Millionen Tonnen CO₂ nur durch Grundschleppnetzfischerei freigesetzt. Die Nordsee allein ist für eine Million Tonnen davon verantwortlich.

Politische und rechtliche Rahmenbedingungen

In einer aktuellen Studie des Fachmagazins „Science“ wurde festgestellt, dass es noch schlechter um die Fischbestände steht als bisher angenommen. Zum einen hat diese Bedrohung ihren Ursprung in der Überschreitung der erlaubten Fangmengen und zum anderen liegt es auch daran, dass eben diese erlaubten Mengen bereits zu hoch angesetzt wurden. Zudem wird von Forschenden der Studie gewarnt, dass sich Fischbestände wohl doch nicht so schnell und gut erholen, wie lange angenommen. Sogar Bestände, die als erholt galten, werden kontinuierlich kleiner. 

Wie vertrauenswürdig sind Gütesiegel?

Es stellt sich die Frage, warum nicht mindestens die ohnehin schon zu hoch angesetzten Fangmengen eingehalten werden, wenn es Gütesiegel wie das MSC-Siegel gibt, die unter anderem diese Vorgänge überprüfen sollten. „Wir glauben, dass unser Ziel, bis 2030 mehr als ein Drittel der weltweiten Landungen im MSC-Programm einzubeziehen, nicht nur erreichbar, sondern unerlässlich ist.(…)“, so Rupert Howes, CEO des Marine Stewardship Council. In Anbetracht der schrumpfenden Fischbestände stellt sich allerdings die Frage, wie dieses Vorhaben realistisch und nachhaltig ablaufen soll. Sofern bei industrieller Fischerei überhaupt von Nachhaltigkeit gesprochen werden kann. Das kommunizierte Ziel des MSC ist es, nachhaltige Fischereipraktiken mit ihrem Siegel auszuzeichnen, damit Konsumenten sich beim Kauf für die „nachhaltige“ Variante entscheiden können. Die Art und Weise, wie der Marine Stewardship Council bei der Vergabe der Siegel vorgeht und welche Aspekte als wichtig empfunden werden und welche nicht, scheinen zum Teil fast willkürlich. Beispielsweise sind im November 2024 immer noch 63 Fischereien MSC-zertifiziert, die Grundschleppnetzfischerei betreiben. Auch verwunderlich: Bis 2020 konnten noch Fischereien MSC-zertifiziert werden, die Hai-Finning betreiben. Und das, obwohl die „fins naturally attached“ Policy zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Jahre lang gesetzlich festgehalten war und Haie stark vom Aussterben bedroht sind. Auch immense Beifangraten werden vom MSC toleriert und stellen kein Ausschlusskriterium für die Zertifizierung dar. Auch wie die Überprüfung der Vorgaben, die tatsächlich bestehen, in der Realität aussieht, ist fraglich. Dementsprechend ist ebenfalls fraglich, wie stark auf Siegel wie das des MSC wirklich vertraut werden kann. 

Massentierhaltung vs. Massenfischerei – Der Unterschied zwischen Land- und Meerestieren

Werden Hunde und Katzen in kleinen Käfigen gehalten, wird das als Tierquälerei angesehen und der Tierschutz wird gerufen. Und das zu Recht! Gleichzeitig werden laut GEO allein in Deutschland jährlich 110 Millionen Meerestiere gefangen, um letztendlich in Aquarien zu landen. Dabei stirbt laut einer Studie des Fachmagazins „Science Advances“ fast die Hälfte aller Tiere beim Fang oder auf dem Transportweg. Organisationen wie die FAO und die UNEP gehen sogar von Zahlen bis zu 80 Prozent aus. 

Die teils extrem exotischen Fische werden auf engstem Raum gehalten und dienen zum Großteil einzig und allein als Dekoration. Dabei wird oft vergessen, oder wahrscheinlich viel eher ausgeblendet, dass den Tieren mit der Aquarienhaltung alles genommen wird, was ihr natürliches Wesen ausmacht. Von dem beengten Platz abgesehen sind auch die Lichtverhältnisse durch zusätzliche Beleuchtung meist völlig anders als in der Natur. Das stört, wie bei den meisten anderen Lebewesen auch, den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus

Schmerzempfinden und Bewusstsein bei Meerestieren

Fische werden also offensichtlich noch stärker als Sache angesehen als andere Tiere, aber woran liegt das? Womöglich resultiert das unter anderem in dem Irrglauben, Fische und Meereslebewesen hätten kein Schmerzempfinden, und darin, dass ihnen ein weniger stark ausgeprägtes Bewusstsein zugesprochen wird. Nüchtern betrachtet ist das auch nicht verwunderlich, denn gerade Fische lassen sich kaum Emotionen anmerken. Zumindest nicht so, dass sie für den Menschen mit bloßem Auge erkennbar sind. Sie können nicht schreien oder um sich schlagen und auch ihre Mimik verändert sich nicht. Das einzige erkennbare Anzeichen einer Emotion ist ihr Fluchtinstinkt. In einem Aquarium wird auch dieser unmöglich gemacht. 

Bereits 2019 hat die Wissenschaftlerin Lynne U. Sneddon am Institute of Integrative Biology, University of Liverpool, in einem Abstract zusammengefasst, was bisher aus der Schmerzforschung bekannt ist. Es wird aufgezeigt, dass Fische alle Voraussetzungen für ein Schmerzempfinden erfüllen. Und das auf neurobiologischer, molekularer, physiologischer und Verhaltensebene. Schon seit Jahrzehnten wird diskutiert, ob Fischen das gleiche Bewusstsein und Schmerzempfinden zugesprochen werden kann wie anderen Lebewesen. Oft wird in diesem Kontext mit dem 3-Sekunden-Gedächtnis argumentiert. Die Annahme, dass dieses existiert, ist jedoch veraltet. Tatsächlich sollen Fische in der Lage sein, sich Gesichter zu merken und zu erkennen, wer kommt, um sie zu füttern. Diese Fähigkeit wurde lange Zeit nur wenigen Tieren wie Hunden, bestimmten Vögeln und Pferden zugesprochen. Außerdem besitzen sie wohl individuelle Persönlichkeiten und bauen teils echte Beziehungen zu den Forschenden auf, die sie untersuchen. 

Sind Aquakulturen die bessere Wahl?

Massentierhaltung wird in Anbetracht der Relevanz, die sie für die Verschlimmerung des Klimawandels hat, noch recht wenig diskutiert. Noch irrelevanter ist allerdings die Massenfischerei in politischen Diskussionen. Aquakulturen werden dabei meist völlig ignoriert oder als nachhaltige Alternative zur industriellen Fischerei verkauft.

Tatsächlich sind Aquakulturen nicht zwangsläufig besser. Weder für die Umwelt noch aus ethischer Sicht auf die Tiere. Hier schwimmen die Fische oft in großen, im Wasser liegenden Gehegen im Kreis und leben in ihrem eigenen Dreck. Viele sterben an Krankheiten, bevor sie überhaupt verwertet werden können. Auch wenn es andere Arten von Aquakulturen gibt, in denen das Wasser besser gefiltert wird, ist diese Art der Fischzucht noch sehr stark vertreten. Pro Jahr werden ungefähr 20 Millionen Tonnen Wildfische für die Herstellung von Fischmehl und Fischöl verwendet. Davon wird ein großer Teil, genauer gesagt jeder fünfte Fisch, verwendet, um Tiere in Aquakulturen zu ernähren, die wiederum zum Verzehr gezüchtet werden. Aquakulturen sind also nicht wirklich besser oder nachhaltiger als Fischerei. 

Ist Fisch wirklich so gesund?

Fisch gilt in der allgemeinen Wahrnehmung wegen der enthaltenen Omega-3-Fettsäuren und anderer Inhaltsstoffe als sehr gesund. Tatsächlich produzieren Fische aber keine körpereigenen Omega-3-Fettsäuren, sondern nehmen diese über Algen auf.  

Dann gibt es auch das Thema Schwermetallbelastung. Am häufigsten werden Quecksilber, Blei, Kadmium und Arsen in Fischen gefunden. Diese gelangen teils auf natürlichem Weg und teils durch menschliche Aktivitäten wie Bergbau, Landwirtschaft und Industrieabfälle in deren Lebensräume. Besonders in größeren Raubfischen lassen sich oftmals hohe Schwermetallkonzentrationen nachweisen, da sie ganz oben in der Nahrungskette stehen. Der Konsum dieser belasteten Fische kann neurotoxische Effekte und Krankheiten wie Krebs, Nierenschäden und andere Probleme hervorrufen. Diese Folgen sind besonders für Schwangere und Kinder ein Risiko, da die Gehirnentwicklung gestört werden kann. Einige Länder setzen auf Grenzwerte für Schwermetalle in Meeresfrüchten und Fisch. Diese sind allerdings oft unzureichend oder werden nicht effektiv überwacht. 

Der Unterschied zwischen Land- und Meerestieren

Wenn man beispielsweise an der Nord- oder Ostsee im Urlaub ist und ein kleines, süßes Fischerboot herankommt mit einem Netz voller toter Tiere, dann holen manche Leute die Kamera heraus und machen Fotos davon, weil sie es auf eine Art sehr malerisch finden.“ 

Dieser Satz stammt aus einem Gespräch mit Dr. Cornelius Lahme, der für die BLUU GmbH arbeitet. Ein Unternehmen, das sich mit der Produktion von zellbasiertem Fisch beschäftigt. 

Stellen Sie sich im nächsten Moment einen Container voller gestapelter toter Kühe vor, oder, wenn Sie bei der Größenordnung bleiben wollen, einen Berg toter Küken. Beides wird, ähnlich wie Fisch, in Massen konsumiert und verarbeitet. Trotzdem löst das Bild eines Containers voller toter Kühe oder Küken eine stärkere emotionale Reaktion bei den meisten Menschen aus. Ein Foto würde vermutlich auch niemand davon machen und in die Familiengruppe schicken. 

Dieser Vergleich ist selbstverständlich abhängig davon, welche Meereslebewesen sich auf der anderen Seite der Netze befinden. Man könnte fast meinen, dass sogar Meeresbewohner eine Art Pretty-Privilege genießen oder eben darunter leiden. Während die meisten wahrscheinlich empört darüber wären, wenn man ihnen Delfinfleisch vorsetzen würde, ist ein Lachsfilet das Normalste der Welt und nach wie vor der Lieblingsfisch der Deutschen. Zudem spielt die Größe des Lebewesens allem Anschein nach eine Rolle dabei, wie viel Empathie wir für dessen Tod aufbringen können. Ein toter Wal oder Delfin löst bei den meisten Menschen deutlich mehr Emotionen aus als ein kleiner Fisch. 

Deshalb essen Menschen (keinen) Fisch

Für Menschen, die kein Fleisch essen, Fisch jedoch in ihren Ernährungsplan einschließen, gibt es eine eigene Bezeichnung: Pescetarier. BlueShift hat einige Menschen gefragt, warum sie Fisch essen oder eben darauf verzichten. Eine befragte Person meinte beispielsweise, sie esse im Gegensatz zu Fleisch gerne hin und wieder Fisch, da sie rein emotional im Stande wäre, einen Fisch selbst zu töten, aber kein anderes Lebewesen schlachten könnte. Diese Aussage bestätigt also den zuvor angesprochenen Unterschied in dem emotionalen Wert, der Landtieren und Meerestieren oftmals zugeschrieben wird. 

Andere setzen sich nie wirklich mit den Methoden und den Umständen auseinander, unter denen Fische und andere Meerestiere gefangen werden, und sehen somit Fisch als die vermeintlich ethischere und umweltfreundlichere Alternative zum Fleischkonsum an. 

Auch kulturelle Traditionen und Verfügbarkeit spielen eine große Rolle. Eine aus Griechenland stammende Befragte zum Beispiel, „ist es nicht anders gewöhnt“, da sie, obwohl sie in Deutschland aufgewachsen ist, in ihrer Familie traditionell sehr oft Fisch gegessen hat. Andere Personen, die an der Nordseeküste befragt wurden, erklären: „Das würde hier dazugehören“ und der Fisch sei dort ja noch ganz frisch und zudem günstiger als andere Proteinquellen. 

Kleiner Denkanstoß

Wenn der industrielle Fischfang und die fragwürdige Praxis der Fischzucht ungebremst weitergehen, wird die Vielfalt der Meere schrumpfen – bis einige Arten für kommende Generationen nur noch auf Bildern oder in Ausstellungen existieren. Die Frage ist nicht mehr, ob wir handeln müssen, sondern wie schnell. 

Empfehlung:

Seaspiracy

Eine Netflix Dokumentation

In der Dokumentation von 2021 werden die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Ozeane und ihre Bewohner gezeigt.

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