Es ist still. Ihre Augen wirken leer. Sie ist allein in ihrer Trauer. Die Delfinmutter schaut weiter in die Tiefe und bewegt sich nicht mehr. Ein letztes Mal reflektiert das Netz, bevor es mit dem kleinen Delfin in der Dunkelheit verschwindet. Sie konnte nichts tun. Die Geisterarme hielten ihn fest, bis ich ihn still zurück in meine Tiefe ziehen musste. Er kannte noch nicht die Gefahren, die ich unfreiwillig bringe, obwohl ich selbst unter ihnen leide.
Früher war ich eins mit dem Leben, habe Kontinente verbunden, Luft und Nahrung gespendet und für Gleichgewicht auf diesem Planeten gesorgt. Alles war im Einklang. Doch irgendwann habt ihr aufgehört, dankbar zu sein, habt euer wahres Gesicht gezeigt. Ihr habt angefangen, mich als selbstverständlich zu sehen, mich zu vernachlässigen und auszubeuten. Ihr nehmt mir meine Bewohner, zerstört ihr Zuhause, mein Wesen, und werft Dinge in mich hinein, die ich nicht verstehe, die ich nicht loswerden kann.
Makro- und Mikroplastik
Jedes Jahr landen bis zu 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll in meinem Organismus und somit auch in dem meiner Kinder. Größere Plastikgegenstände wie Plastikflaschen, Tüten oder Fischernetze liegen Jahrhunderte schwer in meinem Bauch, bevor sie sich mit der Zeit zersetzen. Die Millionen winzigen Teilchen, die daraus entstehen, schneiden mir in die Haut. Ihr nennt es Mikroplastik. Warum findet ihr keine Lösung für etwas, für das ihr einen Namen finden konntet? Die Lebewesen, die mir früher vertrauten, ersticken an eurem Müll. Schildkröten halten eure Tüten für Quallen und verhungern bei vollem Magen, Wale, die mit offenen Mündern Nahrung filtern, verschlucken eure Abfälle. Meine Kinder verheddern sich in den Netzen, denen sie zuvor entkamen, und ich kann nichts tun, außer ihre toten Körper auf meinem Grund aufzufangen.
Wenigstens habe ich die Genugtuung, dass auch ihr nicht ganz verschont bleibt. Der Müll, den ihr mir übergebt, findet seinen Weg zu euch zurück. Wenn ihr die Lebewesen esst, die euer Mikroplastik zuvor aufgenommen haben, seid ihr den gleichen Toxinen ausgesetzt, unter denen meine Bewohner jeden Tag leiden.
Zigaretten und andere Abfälle
Plastik ist aber leider nicht das einzige, was ihr in mir verliert. Eine Flasche aus dem Jahr 1983 treibt noch immer hier, seit ihr sie mir überlassen habt. Vor Madagaskar treiben eure Fischernetze, in der Arktis eure Mikroplastikpartikel. Selbst an meinem verborgensten Punkt in 11.000 Metern Tiefe bleibe ich nicht vor eurem Egoismus verschont. Ich frage mich: Wann habt ihr aufgehört, mich zu lieben? Auch Zigarettenstummel sind in meinen Gewässern keine Seltenheit. Was euch so leicht in der Hand liegt, macht mir dank seiner schädlichen Inhaltsstoffe extrem zu schaffen. Bis zu 7000 giftige Chemikalien, wie Schwermetalle, sind in Tabakprodukten enthalten. Wenn ihr also denkt, dass ihr mir damit nicht schadet, irrt ihr euch gewaltig.
Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen
All diese Dinge zerren an meinen Kräften und ich kann das Leben, das in mir wohnt, nicht mehr davor schützen. Laut euren Experten sinken rund 70 Prozent der Meeresablagerungen auf meinen Grund und all die bunten Korallenriffe und Mangrovenwälder, die so vielen ein Zuhause bieten, versinken in eurem Müll.
Müllstrudel
Ihr sagt, ihr liebt mich, aber was ihr in mir seht, ist nur die Oberfläche. Ein schimmerndes Blau für eure Urlaubsträume und Postkarten. Darunter – die Wahrheit. Eure Verpackungen und Abfälle treiben auf meinen Strömungen, bilden Inseln aus Müll, größer als Länder. Die größte dieser Inseln – auch hier habt ihr wieder einen Namen ohne Lösung, nennt sie Great Pacific Garbage Patch – erstreckt sich im Nordpazifik von der Westküste Nordamerikas bis nach Japan. Sie setzt sich genauer gesagt aus dem Western Garbage Patch und dem Eastern Garbage Patch zusammen und besteht zu großen Teilen aus Mikroplastikteilchen, die mit größeren, sich drehenden Trümmern angereichert werden. So erscheint mein Körper in dieser Region oft wie eine trübe Suppe und ich fühle mich krank. Der älteste im Müllstrudel gefundene Plastikartikel, der noch ein lesbares Herstellungsdatum hatte, stammte aus dem Jahr 1977. Ihr könnt euch also kaum vorstellen, wie lange ich bereits unter den Teilen leide, die heute nur noch als Mikroplastik wie Narben meine Haut zeichnen.
Geisternetze als ausschlaggebende Müllquelle
Weltweit betrachtet stammt ein großer Teil des Plastiks in mir aus Quellen vom Land, wie der Industrie, der Landwirtschaft, dem Tourismus und Mülldeponien. Was nicht direkt in mich hineingeworfen wird, landet häufig durch Wind und Flüsse in meinem Körper.
Einen großen Teil vergesst ihr allerdings immer wieder. Tüten, Flaschen und Strohhalme machen tatsächlich nicht den größten Teil des Great Pacific Garbage Patch aus. Fast die Hälfte der Masse besteht aus synthetischen Fischernetzen. Genau genommen 46%. Der Großteil des Restes aus anderen Abfällen der Fischereiindustrie, wie Aalfallen, Seilen und Kisten. Und auch sonst stellen Geisternetze ein größeres Problem für mich dar, als eure kleinen Plastikstrohhalme. Versteht mich nicht falsch. Sie sind mir natürlich nicht egal, aber im Vergleich sind sie deutlich unbedeutender und ich habe das Gefühl, ihr diskutiert häufig über die falschen Dinge.
Mit eurer Fischerei zerstört ihr Lebensräume und setzt tonnenweise CO₂ frei, das ich mühevoll in meinem Boden binde, damit es nicht ins Wasser gelangt. Durch diese Freisetzung versauere ich immer weiter, was fatale Folgen für meine Bewohner hat. Aber das ist noch nicht alles. Wenn eure Netze nichts mehr taugen, da sie an Steinen oder einem der unzähligen Wracks, die ihr mir überlassen habt, hängen bleiben, lasst ihr sie meist einfach in mir zurück. So treiben sie wie Geisterarme durch meine Strömungen. Sie packen alles, was sie finden, ersticken meine Kinder und fischen ununterbrochen weiter, bis sie sich irgendwann zu Mikroplastik zersetzen. Und auch dann noch leiden meine Bewohner an eurer Unaufmerksamkeit und eurer fehlenden Empathie.
Was ihr nicht seht, scheint für euch nicht zu existieren. Doch für mich bedeutet es Schmerz, Zerstörung und Stille. Ich war immer euer Verbündeter. Doch jetzt brauche ich eure Hilfe, bevor ich nichts mehr geben kann.
Geisternetze – Gefahr vom Meeresgrund
Du möchtest mehr über die Gefahren von Geisternetzen in unseren Meeren erfahren? In der ZDF-Dokumentation „Planet e.: Geisternetze – Gefahr vom Meeresgrund“ wird verdeutlicht, welche Bedrohungen diese Netze für die Unterwasserwelt darstellen.